Leonardos Fahrrad - Die beruehmtesten Fake News von Ramses bis Trump by Peter Koehler

Autor:Peter Koehler
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Sonstiges
Herausgeber: Verlag C H Beck
veröffentlicht: 2018-07-16T16:00:00+00:00

Der Runenknochen vom Maria Saaler Berg

Die Germanen schrieben in Runen. Deren Ursprung ist unklar. Mitte der 1920er Jahre glaubte der norwegische Runenforscher Carl Marstrander den Beweis in Händen zu halten, dass die Schriftzeichen im Alpenraum unter dem Einfluss der Etrusker entwickelt worden seien: Das bewiesen die sechs Zeichen auf dem Knochenpfriem, den er am Maria Saaler Berg bei Klagenfurt ausgegraben hatte. Marstrander veröffentlichte 1928 in der «Norsk tidsskrift for sprogvidenskap» (Norwegische Zeitschrift für Sprachwissenschaft) einen hundert Seiten langen Beitrag über den Ursprung der Runen, «Om runene og runenavnenes oprindelse», der die Fachwelt überzeugte. 1935 wurde die große Bedeutung von Marstranders Fund von Helmut Arntz in seinem «Handbuch der Runenkunde» gewürdigt. Er kommt darin zu dem Ergebnis, dass der Knochen «spätestens aus dem 1., vielleicht aber noch aus dem 2. Jahrhundert v. Chr. stammt». Dass die Runen keinen rechten Sinn ergeben, tut er mit der Bemerkung ab: «Zum Zwecke der Geheimhaltung sind auf dem Knochen keine Vokalzeichen geschrieben». Im Bildanhang, wo auf Tafel I an erster Stelle das Foto des Knochens prangt, versucht er sich aber doch an einer Lesung: «zsfnkm; vielleicht z (magisches Zeichen) sfn (Name) ek im ‹bin ich›. Markomannisch?»

Vergebliche Liebesmüh. Und Arntz hätte es besser wissen können! Am 9. März 1930 war der arbeitslose Herwig Merzinger im Landesarchiv Klagenfurt erschienen und gab an, im Jahr 1924 zu jenem Alpenjägerregiment gehört zu haben, das die Grabung am Maria Saaler Berg durchführte. Das Protokoll hält fest, was er zu beichten hatte: «Da jetzt von dem bei der Grabung gefundenen Pfriemen so viel gesprochen wird, so bekenne ich, um weitere Irreführungen zu vermeiden und weil mir die Sache sehr peinlich ist, daß wir den Pfriemen gefälscht haben. Wir haben einen Knochen von Rindfleisch geröstet, um ihm ein altertümliches Aussehen zu geben. Die eingeschnittenen Zeichen sind durchwegs Runenzeichen und wurden wahllos eingeschnitten. Wir haben dann den Pfriemen vergraben.»

Marstrander grub den Knochen erwartungsgemäß aus und sah in ihm, was er sehen wollte, statt, wie es wissenschaftliche Praxis sein sollte, das Relikt voraussetzungslos zu prüfen. Arntz folgte ihm darin. Jeder Fund findet eben seinen Finder – oder umgekehrt: Jeder Finder findet den Fund, den er finden will. Doch um den beiden Gelehrten außer Spott auch Gerechtigkeit widerfahren zu lassen: Der Fund war falsch, die These vom etruskischen Einfluss auf die Entstehung der Runen aber ist stichhaltig; er dürfte einer der Faktoren neben dem lateinischen, griechischen und sogar phönizisch-karthagischen sein.

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